Der Turm am Bilker Bahnhof in Düsseldorf sollte ein Vorzeigeprojekt für die Verkehrswende werden, mit Parkplätzen für 120 Fahrräder von Pendlern. Die Planung begann 2018, lange bevor zunächst die Pandemie und dann auch noch der Krieg in der Ukraine die Lieferketten und die Energieversorgung durcheinanderbrachten. Und so liegt die Baustelle jetzt, fünf Jahre später, brach. Die Baufirma ist insolvent.
Ihren Auftrag konnte sie nicht zu den vereinbarten Kosten erledigen: Der Stahl war zu teuer geworden. Dabei sind die Rohstoffe nur eine von vielen Sorgen in der Bauwirtschaft. „Gestiegene Material- und Energiekosten, Inflation und Fachkräftemangel sind ein toxisches Gemisch für viele mittelständische sowie manches größere Unternehmen“, sagt Jan Byok, Vergaberechtler bei Bird & Bird.
Diese neuen Unwägbarkeiten erfordern ein Umdenken bei der Auftragsvergabe durch die öffentliche Hand. „Man kann in den Verträgen nicht mehr wie bisher starre Preise und fixe Termine aufnehmen, sondern muss flexiblere Vertragsmodelle ersinnen“, sagt Ute Jasper, Vergaberechtlerin bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. „Bisher wussten Bund, Länder und Gemeinden, was sie brauchen, konnten die Leistungen beschreiben und auf dieser Grundlage einen Preiswettbewerb ausrufen.“
Jetzt aber drehe sich die Welt so schnell, dass sie Ausschreibungen immer wieder neu justieren oder terminieren müssen – oft noch während der laufenden Ausschreibung. Helfen können dabei Preisanpassungsklauseln. Bis vor zwei Jahren waren diese in Ausschreibungen von den Richtlinien des Bundes zumeist verboten – weil Indexklauseln die Preise und die Inflation anheizen, was die Regierung verhindern will. Seit den fortwährenden Krisen sind diese Klauseln aber zulässig. Sie sind nach Ansicht von Jasper „erforderlich, denn Auftragnehmer sind nicht mehr bereit, zum Beispiel das Inflationsrisiko allein zu tragen“. Steigen also etwa Materialpreise, darf der Auftragnehmer den Preis anheben.
Die Preiserhöhungen lassen sich auch an einen Index wie den Verbraucherpreisindex koppeln. So lässt sich nicht nur späterer Streit verhindern, sondern auch die Gefahr, dass eine Baufirma mehr kassiert, als ihr zusteht. Vergaberechtler Tobias Osseforth von der Kanzlei Luther rät deshalb, die Klauseln eindeutig und klar zu formulieren. „Sie sollten die Auftragnehmer in die Pflicht nehmen, Mehrkosten nachzuweisen“, rät Jasper. Bei Großprojekten könne der Auftraggeber auch neutrale Instanzen einsetzen wie Schiedsgutachter oder IHK-Experten, um die Mehrkosten zu kontrollieren.
Über das Ranking
Das Handelsblatt Research Institute (HRI) fragte für die WirtschaftsWoche über 1900 Juristen aus 156 Kanzleien nach ihren renommiertesten Kollegen im Vergaberecht, Umwelt- und Bauplanungsrecht sowie Energierecht. Nach Bewertung der Jury setzten sich für Vergaberecht 43 Kanzleien mit 61 Anwälten, für Umwelt- und Bauplanungsrecht 27 Kanzleien mit 36 Juristen durch. Im Energierecht sind es 18 Anwälte aus 16 Kanzleien.
Die Jury: Andrea Andor (AGR Abfallentsorgungs-Gesellschaft Ruhrgebiet), Heiko Piesbergen (Netinera*), Achim Schunder (C.H. Beck), Ansgar Suermann (Deutsche Bahn)*, Axel Thomas (GWG Aachen)
* nur für Vergaberecht
Neue Technik, neuer Preis
Auch jenseits der Rohstoffe lassen sich mit solchen Klauseln gestiegene Kosten an Auftraggeber weiterreichen: Lohnkosten etwa können nach Tariferhöhungen angepasst werden. Oder Klauseln für unvorhersehbare Kosten bei neuer Technik. Wenn ein Baustoff entwickelt ist, aber erst in der Praxis getestet werden muss. Etwa bei der Sanierung von Schleusen, wo nun schnelltrocknender Beton eingesetzt werden soll, um den Schiffsverkehr auf Kanälen nicht stoppen zu müssen, sagt Jasper. Je nachdem, wann Versuche und Tests gelingen, ändert sich mit der Versuchszahl die Leistungsbeschreibung.
Auch Liefertermine lassen sich flexibilisieren, wenn auf konkrete Ereignisse wie die Wiederfreigabe des Suezkanals Bezug genommen wird, sagt die Expertin. Der Baubeginn, der nach Erteilung der Baugenehmigung starten soll, ist heute schon Standard, weil dieser Termin durch die Überlastung der Ämter häufig unkalkulierbar ist.
„Vergabeverträge müssen atmen und partnerschaftlich werden“, fordert Jasper. Zumal der Staat mit neuen Gesetzen laufend für wechselnde Vorzeichen sorgt: Zum Beispiel, als Arbeitnehmer während der Pandemie ins Homeoffice mussten und so mehr Datenschutzstandards nötig wurden. Diese neu zu programmieren kostet extra.
Ausschreibungen lassen sich auch für solche Eventualitäten rüsten: Mit Rahmenverträgen, wie sie das Land Hessen kürzlich für ein IT-Projekt über 25 Millionen Euro geschlossen hat. „Dort strickten“, sagt Osseforth, „Juristen mit Technikern und Auftraggebern einen Rahmenvertrag für vier Jahre, dessen Einzelleistungen wie Programmierung peu à peu abgerufen werden.“ In diese ließen sich dann neue Standards einziehen und Kosten wie Termine anpassen.
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